Es ist ein gewöhnlicher Samstagnachmittag an einem nicht gerade gewöhnlichen Tag in Mettlach, zu einem Anlass, der vor ein paar Jahren selbst für die FCS-Fans ungewohnt gewesen wäre. Der 1. FC Saarbrücken, ehemals Bundesligist, gastiert im Stadion am Schwimmbad, Heimat des SV Mettlach, der im Jahr zuvor aus der Verbandsliga Saar aufstieg.
Mettlach, ehemals beschaulich und ruhig, an der Saar gelegen, als wäre eine weltberühmte Keramikfabrik einfach nur die nette Zugabe zum Stadtbild, hat sich gewandelt. Ich bewege mich durch frisch renovierte Straßen, Franzosen, Holländer, Engländer und gar Japaner tragen schwere Taschen, ganze Einkaufskolonnen warten auf einen klimatisierten Reisebus. "Factory Outlet" behaupten die Schilder, ein Touristenbüro soll es auch noch geben. Bin ich noch im Saarland oder schon in einer Touristenfalle am Rheim? Die Saar gibt Gewissheit, nur die Zeiten ändern sich.
Die Touristeninformation suche ich vergeblich, das örtliche Gotteshaus wäre sicherlich eine schöne Sehenswürdigkeit und das zurzeit stattfindende Ritterfest oder ein Flohmarkt besuchenswert, aber mich zieht es an die gefährliche Strömung der Saar, dort wo bereits ein Polizeischiff patroulliert. Hier bahnt sich etwas an, was den Wirtschaftsstandort Mettlach bedroht.
Ein Schiff aus Saarbrücken läuft ein. Mittlerweile hat die Polizei ihren Aktionsradius bis zum Ufer der Mettlacher Anlegestelle erweitert. Mehrere Kastenwägren wollten den Kahn empfangen, auf dem Fahnen geschwenkt werden, eine "Humba" angestimmt wird und Botschaften an die Oberligamannschaften aus Pirmasens und Homburg gesendet werden. Schaulustige warten an einem kleinen Vorsprung, der oberhalb der Anlegestelle beste Sicht auf das Wasserspektakel bietet. "Kniet nieder, Ihr Bauern, Saarbrücken ist zu Gast", hallt es, während bei den Touristen Verwirrung zurückbleibt. Die Einheimischen ließen sich nicht blicken.
Vorbei an sporadisch auftauchenden Polizisten, Insignien der lokalen Industrie, einem kleinen Bahnhof, obskuren Werbeplakaten zu Discoabenden (80er) und Relikten aus Zeiten roter Aschenplätze geht es Richtung Stadion am Schwimmbad. Dort lauern Absperrungen, Parkplätze, Menschenmassen und Biertische. Es sind noch Karten vorhanden! Ich passiere den engen Eingang und lese mir das Stadionheft, das als "Kucker" einer Raubkopie des fast gleichnamigen Sportmagazins ähnelt, durch. Lokalkolorit.
Ohne Kontrolle ziehe ich weiter über betonierte Stehtraversen. Schade, wo ich eigentlich zuvor sämtliche Taschen geleert hatte! Dort, wo in einem "Stadion" die Haupttribüne die Anlage zieren würde, hat Mettlach graue Steinmassen. Der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt hat den Sport noch nicht erreicht. Ein klares Defizit an Kultur, Förderung und Entwicklung von Strategien zur Bindung der Jugend an soziales Engagement und Verantwortung.
Das Spiel beginnt, während der Stadionsprecher euphorisch "Hells Bells" von AC/DC auflegt und von 3.000 Zuschauern schwärmt. Später wird in der Presse zu lesen sein, dass in Wirklichkeit 3.700 Zuschauer das Stadion am Schwimmbad sprengten. So kommt es, dass auf den Stehrängen Stau herrscht, die geringe Auslaufzone nach hinten dem menschlichen Kreislauf so zusetzt, dass einige Zuschauer ungeniert durch den Maschendrahtzaun urinieren müssen. So stellt sich der Bolzplatzromantiker also den Oberligaalltag vor! Ein Drahtseilakt auf Wasser.
Das Spiel beginnt, die gewohnten Choräle sind ob der gestiegenen Menschenmasse akustisch gut vernehmbar, während auf dem Platz der FCS hinten zwar schwimmt, vorne aber trifft. Den Anfang macht Petry nach einem Zuspiel von Rozgonyi, später darf Nazif Hajdarovic seinen Kopf hinhalten. Dies wird nach dem Spiel wohl auch noch der Mettlacher Torwart Paulus müssen, der keinen guten Tag erwischt hat.
In der zweiten Halbzeit habe ich meinen angestammten Platz verloren, hart ist der Kampf um eine Sichtgelegenheit im Rund, wenn die Zuschauerzahl unklar, die Abwehr schwimmend, bei den meisten Zuschauern jetzt auch der Pegel der Schifffahrer erreicht und die Gedanken schon bei Homburg sind. Fast beiläufig erfahre ich vom Anschlusstreffer der Lokalmatadoren, der wesentlich geringer gefeiert wird, als die darauffolgenden drei Treffer nach Standards (Mozain, Rozgonyi, Petry) für den Saarbrücker Gast.
Es bleiben folgenschwere Erkenntnisse einer (hoffentlich) einmaligen Angelegenheit, nämlich des Spiels in Mettlach. Eine Stadt auf der Suche nach ihrer Identität hat es trotz größtmöglicher Vorlagen seitens der Gäste und einer düsteren Vorgeschichte (remember Saarlandpokal) nicht geschafft, Dieter Ferners Mannschaft über den Jordan gehen zu lassen. Ein Schiff auf der Saar reicht schon und Homburg wartet.
Mangelnde Impulskontrolle
vor 6 Stunden
4 Kommentare:
Ich habe mich auch schon gefragt, wie bei einer Kapazität von 4500 da noch hätten 1500 Menschen reinpassen sollen...
Pro Kucker!
Zur Not hätten die auch 5000 reingelassen, da hätten sich die Leute auf den Sprungturm im Freibad stellen müssen.
Super Artikel!
Die feiernden Saarbrücker Fans auf dem Boot sind das Beste! Sowas gibt's sonst nur in Istanbul, wenn zum Derby über den Bosporus übergesetzt wird...
Sehr feiner Blog.
Mein Dank nach Luxembourg!
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