Es ist doch schon wirklich seltsam. An allen Ecken und Enden begegnen einem knapp 60 Jahre nach Entstehung des Saarlandes Aufkleber mit dem alten "Sarre"-Wappen, Lyoner und alle klischeehaften Auswüchse eines ausgeprägten Lokalismus: saarvoir vivre!
Umso interessanter anzusehen ist es, dass trotz diesen Beobachtungen seit der WM 2006 auch die neue Euphoriewelle in Sachen Nationalmannschaft das Saarland erobert hat, obwohl das Saarland wohl am wenigsten in dieses "Fußballfest für die Welt" involviert gewesen ist. Dennoch gibt es auch hier nach jedem Sieg von Joachim Löws Mannschaft einen Autokorso und jubelnde Massen zu bestaunen. Und das, obwohl spätestens im Jahre 2000 die Mannschaft mit dem Adler auf dem Brust unter Erich Ribbeck ganz unten angekommen war. Woran liegt das und was denkt jemand, der 365 Tage im Jahr eigentlich einem einzelnen Verein die Daumen drückt?
Interessanterweise gab es ein leichtes Aufflammen im Jahre 2002. Deutschland schaffte es vier Jahre vor der WM im eigenen Land mit Völlers Sicherheitsfußball bis ins Finale, wo man lange mit Brasilien mithielt und doch nicht gewann. Dennoch gab es hier noch nicht das Interesse, wie man es heute kennt. Und die Skeptiker sahen sich 2004 wieder im Recht, als Deutschland einem weiteren Tiefpunkt entgegensteuerte.
Diese Skepsis sollte erst 2006 abnehmen. Dies lag nicht unbedingt am sportlichen Abschneiden, da Deutschland zwar offensiver agierte, aber "nur" den dritten Platz bei einem angestrebten Titelgewinn erreichte. Was war passiert?
Der Fußball an sich ist zur Nebensache geworden. Im Vordergrund steht nicht mehr allein der Gewinn, sondern die eigene Präsentation, die möglichst kreativ, friedlich und medientauglich sein soll, aber dabei doch eine fanatische Komponente in sich trägt: vor dem Spiel existieren keine Zweifel am Sieg, bei einer Niederlage ist die Niedergeschlagenheit nicht von großer Dauer. Die "Partystimmung" muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden.
Ein weiterer Faktor wurde auch von der WM 2006 beigesteuert: selbst im Fall einer Niederlage bleibt Deutschland das bevorzugte Team. War es früher so, dass selbst vor einem großen Turnier Solidaritätsbekundungen eher an Mannschaften gehobener Spielkultur gingen und man die "Deutschen Panzer" unter Vogts und Ribbeck verspottete, gilt man heutzutage eher als Spielverderber, wenn man Deutschland kritisiert. Keine Brasilien- oder Italien-Trikots mehr, sondern überall Schwarz-Rot-Gold. Schließlich ist man spätestens seit der WM 2006 auch in sportlicher Hinsicht von den ehemaligen "Fußballnationen" enttäuscht, da selbst die früher belächelten Deutschen offensiver zu Werke gingen und dabei ansehnlicher als italienische Betonmischer wirkten.
Als FCS-Fan müsste ich eigentlich angewidert von der Entwicklung sein, dass der Fußball zum Spektakel verkommt. Man wird mit unnötigen "Fansongs" gequält, muss "DIE Artikel für DEN Fan" ertragen, deren Qualität gegen Null strebt, aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Leute, die über Jahre hinweg Fans von Vereinsmannschaften als "bemitleidenswert" betrachteten und diese immer wieder mit dem sportlichen Misserfolg aufziehen wollten, nennen sich nun selbst "Fans", obwohl sie nicht einmal wissen, wer "dieser Enke" ist. Leute, die David Odonkor für einen Fußballer halten!
Und doch: all dies kann bei mir nicht die Freude trüben, dass Deutschland nach Jahren untersten Spielniveaus endlich wieder eine "goldene Generation" hervorgebracht hat. Schließlich drücke ich der DFB-Elf bei allen großen Turnieren (solange sie noch im Turnier vertreten ist) seit 1998 die Daumen. Als Mannschaft, nicht als Land oder Nation. Ich kann mich zwar nicht immer für Spieler erwärmen, die ihr Klubdasein bei entsprechenden Unsympathen wie Kaiserslautern oder Homburg fristeten, aber die Mannschaft an sich ist für mich doch die Elf, mit der ich immer sympathisieren kann. Selbst der FCS hat sich schon solcher Spieler bedient und wer soll es ihm auch verdenken, wenn diese am Ende gute Leistungen zeigen?
Sobald die EM beendet ist, hängen die meisten ihre Deutschland-Flaggen ab und vergessen den Fußball. Ich kehre dann wieder zu meinem eigentlichen Geschäft zurück: der heimlichen Nationalmannschaft des Saarlandes. Schließlich kann man die eigenen Leidenschaften nicht einfach in einen Schrank hängen und dann wieder auspacken, wenn es einem Recht ist. Und 1954 wär Deutschland ohne uns nie Weltmeister geworden ;-)
Schön, dass ihr alle da seid!
vor 4 Tagen
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