Mittwoch, April 30, 2008

Palmeras y juegos - Eine Reise nach Mallorca

Eine typische Reise nach Mallorca sieht eigentlich so aus, dass man sich bei der Abreise nur noch an den riesigen Kater am Morgen danach erinnert oder wie man vor einem fremden Hotel aufgewacht ist. Neben dem obligatorischen Besuch in der Schinkenstraße gehören solche Geschichten zum Inventar deutscher Mallorca-Urlauber. Um nicht tief in diese Kette unaufhörlicher Klischees abzudriften, wollte ich dann doch etwas Kultur erleben: Fußball-Kultur!

RCD Mallorca - Racing Santander 27.04.2008

Diese Partie bot sich für meinen Aufenthalt auf der Mittelmeerinsel an. Nahe der Schinkenstraße ging es dann per Bus nach Palma de Mallorca. Unglücklicherweise nahm ich den Bus, der nicht über die Autobahn Richtung Hauptstadt fährt, sodass ich knapp 20 Minuten vor Anpfiff irgendwo stand, ohne zu wissen, wie ich nun zur Richtigen Buslinie käme. Knapp eine Viertelstunde irrte ich so umher, nur mit der vagen Vorstellung, wie ich zu den großen Flutlichtmasten käme. Das erste Stadion auf meinem Weg entpuppte sich dabei als die jetzige Spielstätte von Mallorca B, das Estadi Lluis Sitjar.



Endlich fand sich eine Bushaltestelle mit der richtigen Verbindung zum Son Moix, dem Stadion der Erstligamannschaft. Ein spanisches Paar, dass ich nach der Abfahrtszeit für den Bus fragte, kontert mit der Bemerkung, dass der Bus nicht nach Platja de Palma fahre. Typisch deutscher Mallorca-Touri! Nach meiner Antwort, dass ich eigentlich auch das Stadion suche, lächelten beide und verstanden. In einem Bus mit einigen Mallorca-Anhängern ging es dann Richtung Stadion, wo bei Ankunft bereits wenige Minuten Spielzeit zu Buche standen. Für meine Eintrittskarte musste ich nun 28 Euro statt der vorher geplanten 22 Euro berappen, durfte nun aber auch einen Platz auf der Gegengerade auf Höhe des Fünfmeterraumes einnehmen. Zuvor bekam ich noch ein T-Shirt mit der Aufschrift "Salva una vida", was auf eine Aktion des Roten Kreuzes aufmerksam machen sollte.

Hinter mir befand sich eine Reihe lärmender Kinder, die damit beschäftigt war, ihre mitgebrachten Tröten exzessiv zu verwenden. Alle fünf Minuten fanden aus Stadionheften gebastelte Papierflieger ihren Weg auf die unteren Plätze und schlugen meist auf irgendwelchen Köpfen ein. Links von mir saßen ebenfalls zwei Touristen, offenkundig Holländer, welche die gleiche Idee wie ich hatten. Es stand noch 0:0 und allzu viel schien ich nicht verpasst zu haben.



Dafür lohnte sich an dieser Stelle ein Blick in das weite Runde, um ein wenig die Gepflogenheiten des spanischen Fußballs zu entschlüsseln. Die Zuschauer waren in der ersten Halbzeit vor allem auf den Schiedsrichter konzentriert. Da in Südeuropa die Schwalbe weniger verpönt als in England scheint, kam es hier automatisch zu einer Vielzahl umstrittener Entscheidungen. Was mit "¡Árbitrooooo!" und Pfiffen begann, mündete in zunehmend spitzere Anfeindungen und Beleidigungen. Von der Tradition des Stierkampfs hat sich die schöne Geste eingebürgert, in solchen Momenten mit einem weißen Taschentuch zu wedeln. Im Fußball blieb es natürlich unblutig.
Ein Fanblock existierte auch, beschränkte sich jedoch auf wenige Zaunfahnen und wenig Fahnen. Gesungen wurde nicht durchgängig, jedoch war trotz der geringen Größe dieses singenden Haufens jeder Gesang vernehmbar. Einige von ihnen hört man auch mittlerweile bei deutschen Ultra-Gruppierungen. Etwas seltsam mutete die Sitte an, dass von Zeit zu Zeit der Stadionsprecher mit elektronischen Klatschern über die Lautsprecher die Zuschauer aufgefordert wurden, die Mannschaft anzufeuern.



Zur Halbzeitpause stand es noch 0:0 und es wurde Zeit einen Ersatz für das verpasste Abendessen im Hotel zu finden. Nach kurzer Überlegung hatte ich dann die richtige Wahl getroffen: "Una palmera, por favor."
Im Grunde war meine Bestellung ein riesiges, dünnes Stück Teig, welches mit Schokolade bestrichen wurde. Für zwei Euro war man somit satt, befriedigt und bekleckert.

In der zweiten Halbzeit nahm die Begegnung nun an Fahrt auf. Nach einem Freistoß von der linken Seite fiel per Kopfball das 1:0 für die Mallorquiner. Das Stadion war nun völlig aus dem Häuschen, zu den Klängen von "I will survive" und endlosen Trommelorgien tanzte das Stadion. In der Folge erhöhten auch die Kinder mit den Tröten und der Fanblock ihr Engagement, da ihr Verein nach einer bisher mittelmäßigen Saison nun gegen einen der Vereine der oberen Tabellenregion führte.
Eine Viertelstunde vor Spielende wurde dann Oscar Trejo eingewechelt. Dieser erinnerte in der Folge an zahllose Landesligaspieler, die einen sinnlosen Alleingang gegenüber einem Pass an die Mitspieler vorziehen. So war es irgendwie ironisch, dass es ihm vorbehalten war, mit seinem ersten Saisontreffer das 2:0 zu erzielen: ein kurzer Rückpass eines Abwehrspielers zum Torwart wurde von Oscar Trejo ganz unfiligran reingegrätscht. Nun hielt es auch mich nicht mehr auf dem Sitz.
¡GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL!

Die meisten Zuschauer gaben sich nun mit den drei Punkten zufrieden, also verließen sie das Stadion. Diese in Deutschland zur Unsitte verkommene Masche war ja nicht unbedingt außergewöhnlich. Seltsam war hingegen, dass man im Fanblock nun großzügig Platz auf den roten Klappsitzen nahm und die Anfeuerung einstellte. Man stelle sich dieses Bild einmal im Ludwigspark vor!
In der 85. Minute sollte die Partie nämlich noch einmal an Spannung gewinnen. Santander erhielt nach vielen umstrittenen Entscheidungen des árbitro endlich einen Elfmeter, den Aldo Duscher souverän in die Mitte des Tors knallte, was die extatische Aufbruchsstimmung Richtung Parkplatz seitens der Mallorquiner schnell beendete.



Zum Schluss war der letzte Treffer dann doch die Aufgabe von Güiza, dem Toptorjäger von Mallorca. Nach einem schnellen Konter verlud er den Torwart und stellte den alten Abstand wieder her. Das Stadion huldigte nun Daniel Güiza ehrfürchtig, um danach wieder in Aufbruchsstimmung zu kommen. Immerhin war das Spiel nun auch wirklich beendet und die Mallorquiner konnten glücklich und entspannt den Heimweg antreten. Ich nutzte diesen für einen weiteren Abstecher zum Estadi Lluis Sitjar, um dort weitere Fotos zu machen.



So endete ein ganz untypischer Tag eines deutschen Touristen auf Mallorca ganz ohne Ballermann und Schinkenstraße, aber mit einem äußerst sehenswerten Fußballspiel und vielen offenen Fragen zur Mentalität der spanischen Stadionbesucher.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Interessanter Bericht. Da sieht man mal, was es für interkulturelle Unterscheide auch in den Fußballstadien gibt. ;-)

F.Kern hat gesagt…

Also, wenn wir heute Hauenstein 5:0 abschießen sollten, gehn wir nach der 80.Minute ausem Stadion :D

Frederic hat gesagt…

Gefällt mir sehr dieser Bericht.
Wirklich unfassbar, wie die Fans dort unterstützen. Hören se einfach mit der Ubterstützung auf - wie gudd :D

Anonym hat gesagt…

Das Estadi Lluis Sitjar hat so ein bisschen den Flair wie der LuPa, oder? optisch zumindest :-)

Carsten hat gesagt…

@markus

Allerdings. Jedes Land hat eine eigene Fußball-Kultur.

@frederic & bobbeslein

Der Spielverlauf heute war ja fast haargenau so wie der auf Mallorca. Und trotzdem wurde gesungen ;-)

@anonym

Auf den beiden Fotos sieht man ja leider nicht wirklich, wie verlassen und verfallen das Lluis Sitjar aussieht, aber rustikal wie der Ludwigspark kommt hin. Schade, dass ich mir da kein Spiel der zweiten Mannschaft anschauen konnte.